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Interview / 08.03.2016
"DAS HIER IST EIN PROJEKT DER PALÄSTINENSISCHEN BEVÖLKERUNG"

KLAUS PETRUS: Ahmad Safi, die Palestinian Animal League (PAL) hat soeben eine Kampagne über Strassenhunde lanciert. Das erstaunt irgendwie, zumal in der palästinensischen Gesellschaft nur wenig Hunde als Haustiere gehalten werden. Woher stammen diese Strassenhunde?
AHMAD SAFI: Manche sind verwilderte Hunde, die eigentlich in den Bergen leben, jetzt aber mehr und mehr die Nähe der Menschen suchen und sich in den Dörfern und Städten niederlassen. Andere – wohl die Mehrzahl – sind ehemalige Arbeitstiere. Sie wurden als Wach- oder Jagdhunde gebraucht und sind entweder weggelaufen oder wurden ausgesetzt. Und dann sind Hunde darunter, die vom israelischen Militär oder den Siedlern in der Westbank ausgesetzt werden. Häufig sind das Schäferhunde. Sie sind besonders gefährlich und machen uns zu schaffen.

Was heisst das konkret?
Die Leute haben Angst. Dazu muss man wissen: Die Israeli setzen bewusst Hunde gegen die palästinensische Bevölkerung ein, sie werden regelrecht auf uns abgerichtet. Die Armee bringt sie an die Kundgebungen mit, sie sind bei nächtlichen Hausdurchsuchungen dabei oder sogar bei Verhören. Das war schon während der zweiten Intifada Ende der 1980er Jahre so. Doch in jüngster Zeit haben die Angriffe wieder zugenommen. Deswegen lancierten wir Ende 2015 zusammen mit der Menschenrechtsorganisation Al Haq eine Petition: Sie soll den Einsatz von „Kriegshunden“ gegen die palästinensische Bevölkerung verbieten. Bis Februar 2016 kamen 2.000 Unterschriften aus 67 Ländern zusammen. Das ist enorm wichtig. Sie müssen sich das konkret vorstellen: Eine Besatzungsmacht setzt Hunde als Waffe ein, um Ihnen Angst zu machen oder Sie zu verletzen. Was löst das bei Ihnen aus? Sie hassen nicht bloss das israelische Militär, sondern auch die Hunde.

Es gibt aber noch andere Gründe, weshalb Hunde in arabischen Gesellschaften kein besonders gutes Ansehen haben.
Ja, das stimmt. Meist sind es Vorurteile, die eine sehr lange Tradition haben und kulturell oder religiös verankert sind.

Zum Beispiel?
Viele Menschen bei uns meinen, man würde sich „beschmutzen“, wenn man mit Hunden in Kontakt kommt. Oder dass Hunde Unglück über den Menschen bringen. Manche denken auch, dass Hunde schon aufgrund ihres Wesens aggressiv seien. Wir versuchen, diesen Vorteilen möglichst konstruktiv zu begegnen. Zum Beispiel konnten wir anhand einer Untersuchung belegen, dass 2014 im gesamten Distrikt Ramallah gerade einmal acht Hundebisse registriert wurden. Oder wir verweisen auf Stellen im Koran, wo die Beziehung zwischen Menschen und Hunden auf positive Weise geschildert wird.

Dann geht es bei der Kampagne also nicht „bloss“ darum, die Strassenhunde einzufangen, sie zu kastrieren, zu impfen und wieder freizulassen?
Als wir letztes Jahr unser Pilotprojekt starteten, mussten wir rasch einsehen: Kastrieren allein reicht nicht, wir brauchen noch eine Aufklärungskampagne. Tatsächlich, es geht hier um nichts weniger als um eine neue Mensch-Hund-Beziehung.

Das ist, wie man sich vorstellen kann, ein langwieriges Unterfangen. Wie geht PAL die Sache an?
Am Wichtigsten ist, dass wir die Bedürfnisse der lokalen Bevölkerung ernstnehmen. Sie wollen nämlich das Problem mit den Strassenhunden ebenfalls lösen – und zwar nicht, indem man sie verjagt, vergiftet oder erschiesst. Das ist natürlich auch im Interesse der Hunde. Wenn wir es behutsam angehen, ist das Ganze also eine Win-Win-Situation. Dafür brauchen die Menschen aber zunächst ein viel positiveres Bild vom Wesen der Hunde. Sodann es ist wichtig, dass sie sehen, was hinter dem Kastrationsprogramm steckt, denn so etwas gab es in Palästina bisher noch nie. Unerlässlich ist auch, dass sie lernen, wie man sich verhält, wenn sie selber auf Strassenhunde treffen.

Und wie reagiert die Bevölkerung auf die Kampagne?
In Tulkarm im Nordwesten der Westbank, wo wir die Kampagne lanciert haben, ist das Feedback bisher sehr gut. Es wird sogar an der Freitagspredigt in der Moschee darüber geredet.

Wieso findet die Kampagne gerade in Tulkarm statt?
Der Grund ist ein praktischer. Hier befindet sich die Veterinärmedizinische Abteilung der An-Najah Universität. Und hier arbeitet Dr. Belal Yousef Abu Helal. Er ist der einzige Tierarzt in der Westbank, der auf Hunde und Katzen spezialisiert ist. Es war also sehr wichtig, ihn von unserer Kampagne zu überzeugen. Er hat direkt zugesagt. Seither nutzt er jede Gelegenheit, um seine Studierenden in Theorie und Praxis zu unterweisen: vom Einfangen der Tiere über die Operation bis hin zur Freilassung. Inzwischen haben wir rund 40 Leute von der An-Najah Universität, die uns vor Ort helfen – sei es in medizinischer Hinsicht oder im Rahmen der Aufklärungskampagne.

Auf welche Art von Support ist die Kampagne angewiesen?
Wir benötigen die Unterstützung der Behörden, denn im Idealfall sind sie es, die in Zukunft die Strassenhunde einfangen, sie zu den Tierärzten bringen und anschliessend wieder freilassen. Sie würden damit auch die nötige Infrastruktur bereitstellen. Deshalb legen wir grosses Gewicht darauf, gute Kontakte zu den lokalen Behörden aufzubauen und sie nach Möglichkeit in unsere Projekte einzubinden. Um ehrlich zu sein: Als wir vor einem Jahr mit der Idee für eine Kampagne über Strassenhunde bei ihnen anklopften, waren sie skeptisch.

Wieso das?
Sagen wir es so: Sie haben wohl nicht daran geglaubt, dass es uns wirklich ernst damit ist. Inzwischen sehen die Politiker hier in Tulkarm, dass wir hart an der Sache arbeiten und mit der Universität und der Bevölkerung kooperieren. Damit öffnen sich für uns langsam die Türen. Wichtig ist auch die Unterstützung von aussen – besonders von anderen Organisationen –, denn das verleiht unserer Arbeit zusätzlich an Gewicht. Wir sind zuversichtlich, dass die Kampagne Erfolg haben wird. Wie gesagt, Strassenhunde sind ein Problem, das uns alle betrifft. Und alle möchten es lösen. Deshalb ist dieses Projekt ist nicht bloss eines von uns Tierschützern, es ist ein Projekt der palästinensischen Bevölkerung.

 

MENSCHEN UND HUNDE IN PALÄSTINA

Es gibt immer mehr Strassenhunde in Palästina. Und damit auch immer häufiger Konflikte zwischen Menschen und Hunden. Die Palestinian Animal League (PAL) ist die einzige Tierschutzorganisation im Land und hat jetzt eine Kampagne lanciert.

Dabei geht es nicht nur darum, die Tiere zu kastrieren und medizinisch zu versorgen. Auf dem Spiel steht nichts weniger als eine neue Mensch-Hund-Beziehung. Denn bekanntlich haben Hunde in arabischen Gesellschaften keinen besonders guten Ruf, was grösstenteils kulturell oder religiös bedingt ist. Entsprechend hat PAL zusätzlich eine Aufklärungskampagne gestartet, um den Menschen ein anderes Bild vom Hund aufzuzeigen.

Klaus Petrus von METIBE wurde von PAL damit beauftragt, die Kampagne mit Fotografien, Videos und Interviews zu begleiten und so eine Dokumentation zu erstellen, die sich vielfältig verwenden lässt: für Veterinärstudenten, die Medien, andere Tierschutzorganisationen, die Bevölkerung sowie die lokalen Behörden.

Unterstützt wird diese Dokumentation von NetAP – Network for Animal Protection und der DiOro Stiftung.

Haben Sie Interesse an unserem Projekt über Palästinas Strassenhunde oder möchten Sie es finanziell unterstützen? Hier erfahren Sie mehr darüber oder setzen Sie sich direkt mit uns in Kontakt: info@metibe.ch.

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